Sollen (dürfen) sich Juden in der Öffentlichkeit als solche zu erkennen geben?

Judengasse in Salzburg, Foto: Stefan Groß

Seit dem frühen Mittelalter geistert diese Aufforderung in Europa, bevorzugt in deutschen Landen. Juden werden verpflichtet, in der Öffentlichkeit einen Judenhut, einen gelber Judenring (Judenkreis) und im letzten Jahrhundert einen gelben Judenstern zu tragen. Gelb wird bevorzugt, wofür es viele Theorien gibt: Gelb ist Gold und Juden lieben Gold. Letztendlich soll der Jude sich als solcher zu erkennen geben, damit er leichter verfolgt, vertrieben und umgebracht werden kann.

Warum werden Juden seit Jahrhunderten im christlichen Europa verfolgt, vertrieben und umgebracht? Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Heinrich Bedford-Strohm, weiß es nicht:

Antisemitismus widerspricht allem, wofür das Christentum steht.

Matthäus – Kapitel 27, 25 hingegen lautet:

Da antwortete das ganze Volk und sprach: Sein Blut komme über uns und unsere Kinder.

Möglicherweise liest der oberste deutsche Protestant die christliche Bibel nicht oder bezweifelt ihre Echtheit. Netterweise fordert er null Toleranz bei Angriffen auf Juden.

Die Kippa, auch Käppchen genannt, trägt der männliche Jude auf dem Kopf bei diversen Gelegenheiten. Im Gegensatz zu den gelben Flecken, handelt es sich bei der Kippa um ein jüdisches Symbol, welche erst seit wenigen Jahrhunderten öffentlich getragen wird. Zur Zeit Jesu sind Käppchen unüblich, ja unbekannt. Zum Schutz vor starker Sonneneinstrahlung reicht die Kippa in Judäa (heute: Israel) bei weitem nicht aus. Damals trägt der jüdische Mann tagsüber in der Öffentlichkeit auffällige Gebetsriemen am Kopf (Verstand) und am linken Arm (Herz). So auch der fromme Jude Jesus, der sich als Pharisäer versteht. Leider finden sich in Kirchen und anderen Museen keine Jesus-Darstellungen mit Gebetsriemen; mit Käppchen schon gar nicht.

Das Tragen der auffälligen Gebetsriemen an Kopf und Arm ist ein göttliches Gebot, welches in der Tora geschrieben steht. Gott wünscht, dass sich die Juden von anderen Völkern bereits äußerlich unterscheiden und als sein Volk erkannt werden.

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, empfiehlt den Juden, die Kippa nicht jederzeit und überall in Deutschland zu tragen. Felix Klein ruft deshalb die Bürger Deutschlands auf, zum ersten Juni-Samstag 2019 Kippa zu tragen. Damit setze man ein wichtiges Zeichen der Solidarität mit Juden und trete ein für die uneingeschränkte Religionsfreiheit und gesellschaftliche Vielfalt. Bereits am 25. April 2019 kommen 2.000-2.500 Demonstranten zu der Demonstration „Berlin trägt Kippa“ zusammen, die glimpflich verläuft.

Der deutsch-jüdische Publizist Michel Friedman nennt die Aussage Kleins einen „Offenbarungseid des Staates“.

Halbwegs fromme Juden tragen zu Hause, beim Beten und zuweilen in der Öffentlichkeit eine Kippa, weil sie ein nicht von außen oder gar von Judenhassern erzeugtes, sondern ein jüdisches Symbol ist, auch wenn die Kippa in der Tora als alltägliche Kopfbedeckung nicht erwähnt wird. Man darf die Kippa in ihrer Wertigkeit nicht mit dem Judenstern gleichsetzen!

Angela Merkel gibt öffentlich zu, dass Juden wegen Antisemitismus in Deutschland auch ohne Kippa nicht sicher sind. „Es gibt (in Deutschland) keine einzige Synagoge, keinen einzigen jüdischen Kindergarten und keine einzige jüdische Schule, die nicht von deutschen Polizisten bewacht werden muss (Interview mit Starjournalistin Christiane Amanpour vom CNN am 31.05.2019).

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sagt am Samstag (25.05.2019) dem WDR:

„Ich kann Jüdinnen und Juden nur ermuntern, sich nicht einschüchtern zu lassen und stattdessen stolz und erhobenen Hauptes durch Deutschland zu gehen – selbstverständlich auch mit Kippa … Die nordrhein-westfälische Polizei steht dabei immer an ihrer Seite. Es darf in Deutschland nie wieder No-Go-Areas für Mitbürger jüdischen Glaubens geben.“

Der bayerische Innenminister Herrmann sagt:“ Jeder solle seine Kippa tragen, wann und wo er möchte.“ Frage: Auch in der Kirche?

Nun zu den Fragen, warum in Deutschland alle Synagogen, jüdische Kindergärten und jüdische Schulen bewacht werden müssen. Ganz im Gegensatz zu Kirchen, Moscheen und christliche oder muslimische soziale Einrichtungen. Und wieso begeben sich Juden in Deutschland in Gefahr, wenn sie in der Öffentlichkeit eine Kippa tragen.

Judenhass gibt es überall, wo monotheistische Religionen sich durchgesetzt haben. Von Buddhisten oder Hindus werden Juden nicht verfolgt. Natürlich hasst nicht jeder Christ oder jeder Muslim die Juden. Der Judenhass hat jedoch im Christentum und im Islam einen festen Stammplatz. Auch atheistische Christen (Linke, Nazis) und salafistische Muslime können Judenhasser sein. Deshalb kann das Tragen der Kippa in der Öffentlichkeit gefährlich sein.

Daneben gibt es selbsthassende Juden, denen bisher in Deutschland noch nie ein Angriff auf eine Synagoge oder jüdische Schule nachgewiesen worden ist. Die selbsthassenden Juden hassen bevorzugen den Judenstaat Israel und seine jüdischen Einwohnern, selbst wenn sie dort selber leben.

Da Kirchen und Moscheen in Deutschland von der Polizei nicht bewacht zu werden brauchen, bedeutet dies, dass es keine Juden in Deutschland gibt, die Christen oder Muslime verfolgen. Nur Juden werden somit von manchen Christen und manchen Muslimen in Deutschland verfolgt, wobei Nazis für die Statistik immer als Christen zählen und alle antisemitischen Muslime Salafisten oder strafunmündige Jugendliche sind. Wenn der Juden hassende Täter nicht bekannt ist, dann ist er für die Statistik ein Nazi.

Man kann sich zu Recht fragen, warum Juden freiwillig in Deutschland leben. Die meisten Juden in Deutschland haben keinen tiefen Bezug zum religiösen Judentum. Sie entwickeln ihn erst in Deutschland (Diaspora) und würden ihn, zurück in Israel, sofort verlieren und somit reinen Gewissens sofort zurück nach Deutschland zurückkehren: ein ewiger Circulus vitiosus.

Der Antisemitismus wird niemals aus Europa und vor allem aus Deutschland verschwinden. Der Judenhass wird sogar die letzten europäischen Juden überleben. Dann wird man – wie einst in der DDR – zehn Männer bestimmen, die Juden mimen müssen.

PS:

Aus jüdischer Sicht ist das Tragen der Kippa für nicht-Juden erlaubt. Manche Juden erinnern eine solche Veranstaltung mit vielen nichtjüdischen Kippträgern eher an Karneval oder Fasching. Für eine echte Solidarität mit Juden reiche das Tragen einer Kippa nicht aus. Genauso erinnere das Tragen eines Hijab (islamisches Kopftuchtuch) anlässlich eines Anschlages auf Muslime eher an ein politisches MeToo als an eine echte Anteilnahme.

Über Nathan Warszawski 535 Artikel
Dr. Nathan Warszawski (geboren 1953) studierte Humanmedizin, Mathematik und Philosophie in Würzburg. Er arbeitet als Onkologe (Strahlentherapeut), gelegentlicher Schriftsteller und ehrenamtlicher jüdischer Vorsitzender der Christlich-Jüdischen Gesellschaft zu Aachen.